Das semantische Differenzial klingt kompliziert – dabei verbirgt sich dahinter ein gängiger und praktischer Bestandteil vieler Fragebögen.
Manche Fragen lassen sich nicht befriedigend mit einem klaren „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Immer wenn Abstufungen und Nuancen bei der Beantwortung von Fragen und dem Gewinn von Erkenntnissen von Interesse sind, kommt das semantische Differenzial ins Spiel.
Das semantische Differenzial oder Polaritätsprofil beschreibt eine bestimmte Frageform beziehungsweise die Art der vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Das Verfahren wurde ursprünglich im Bereich der Psychologie entwickelt, um zu ermitteln, wie die Befragten zu bestimmten Dingen stehen und welche Vorstellungen sie mit Begriffen oder Situationen verbinden.
Dafür wird eine geschlossene Frage mit mehreren Antwortmöglichkeiten zur Auswahl gestellt. Anders als bei einer einfachen Multiple-Choice-Frage sind die Antwortmöglichkeiten beim semantischen Differenzial auf einer Skala angeordnet. Die einzelnen Antworten sind Abstufungen der gleichen Beurteilung (Dimension) und somit zwischen zwei Polen angeordnet, die verbale Gegensatzpaare bilden. Solche Gegensatzpaare sind zum Beispiel „warm – kalt“, „vertrauenswürdig – nicht vertrauenswürdig“ oder auch „stark – schwach“. Meistens werden fünf oder sieben Abstufungen innerhalb der Dimension vorgenommen. So wird garantiert, dass es einen Mittelpunkt gibt. Der Abstand zwischen den einzelnen Stufen ist sowohl hinsichtlich der Bedeutung als auch räumlich immer der gleiche (Intervallskalierung).
Semantische Differenziale und Polaritätsprofile können in einer Vielzahl von Varianten auftreten. Wenn Sie einen Fragebogen mit Skalen erstellen, sollten Sie die Unterschiede kennen und sich überlegen, welche Art des semantischen Differenzials am besten zu Ihrer Fragestellung und Ihren Zielen passt.
Grundsätzlich lassen sich zwei Arten der Skalierung unterscheiden. Bei unipolaren Skalen wird die Abstufung eines einzelnen Begriffs oder einer bestimmten Eigenschaft angeführt. So wird gemessen, ob ein bestimmter Aspekt (beispielsweise Zustimmung, Vertrauen, Sympathie) vorhanden ist. Wer eine Likert-Skala erstellt, wird sich oftmals für eine unipolare Variante entscheiden. Beim Beispiel der Sympathie würde solch ein semantisches Differenzial von „sehr sympathisch“ bis „gar nicht sympathisch“ reichen. Bipolare Skalen hingegen spielen mit den klassischen Gegensätzen. Die Frage nach der Sympathie kann beispielsweise mit Antwortmöglichkeiten zwischen „sehr sympathisch“ und „sehr unsympathisch“ beantwortet werden. Bei beiden Arten des semantischen Differenzials gilt der Mittelwert als neutrale Bewertung.
Wie bereits erklärt funktionieren semantische Differenziale nur mit verbalen Gegensatzpaaren. Alternativ können Sie Ihre Skala aber auch mit Nummern oder Symbolen besetzen. Numerische Skalen sind beispielsweise dann verbalen Differenzialen vorzuziehen, wenn Ihre Zielgruppe weniger gebildet ist und von zu viel Text überfordert wäre. Auch für internationale, multilinguale Umfragen eignet sich eine numerische Skala gut. Noch einfacher zu verstehen, aber gleichzeitig auch am ungenauesten in der Beschreibung beziehungsweise Interpretation der getätigten Aussagen sind symbolische Skalen. Hier kann zum Beispiel mit Emojis oder Sternen gearbeitet werden. Zahlen und Symbole erfordern immer zusätzliche Erklärungen oder eine Legende. Je nach Art der Skala muss auch die Fragestellung entsprechend angepasst werden.
Art der Skala | Beispiel |
Verbale Skala | „stark – schwach“, „sehr vertrauenswürdig – gar nicht vertrauenswürdig“ |
Unipolare Skala | „sehr vertrauenswürdig – gar nicht vertrauenswürdig“, „sehr sympathisch – gar nicht sympathisch“ |
Bipolare Skala | „sehr sympathisch – sehr unsympathisch“ |
Numerische Skala | –5 bis +5; 0 bis 5 |
Symbolische Skala | 😊 bis ☹ |
Das semantische Differenzial wird immer dann gerne genutzt, wenn es um psychologische Fragestellungen geht. Das kann sowohl bei der Erstellung eines wissenschaftlichen Fragebogens für Studien im Fachbereich Psychologie als auch bei Persönlichkeitstests der Fall sein. Besonders häufig begegnen uns semantische Differenziale auch bei der Marktforschung. Umfragen zur Wahrnehmung von Produkten und Marken oder Fragebögen, die vorab die Akzeptanz eines neuen Designs oder einer neuen Kampagne abfragen wollen, sind oftmals die Basis der Marketingstrategien und der Produktentwicklung großer wie kleiner Unternehmen.
Aber auch klassische Umfragen zur Kundenzufriedenheit oder Mitarbeiterzufriedenheit beinhalten meistens mindestens ein semantisches Differenzial, um die Beurteilung bestimmter Aspekte deutlich zu machen.
Wie jede andere Frageform haben auch Fragen mit semantischen Differenzialen als Antwortmöglichkeiten ihre Vor- und Nachteile.
Vorteile | Nachteile |
Einfachere Auswertung im Vergleich zu offenen Fragen | Unverständnis der Dimensionen möglich |
Bessere Vergleichbarkeit der Antworten im Vergleich zu offenen Fragen | Genaue Unterschiede zwischen den Antwortmöglichkeiten nicht eindeutig |
Genauere, differenziertere Ergebnisse als mit schlichten Ja-/Nein-Fragen | Gleiche Antworten können unterschiedliche Einstellungen widerspiegeln |
Das Hauptproblem bei der Verwendung des semantischen Differenzials liegt im Interpretationsspielraum der Antwortmöglichkeiten. Während ein Kunde den Service mit „weder gut noch schlecht“ beurteilt und damit vollkommen zufrieden ist, kann die gleiche Bewertung bei einer anderen Kundin viel negativer gemeint sein. Daher ist es oft von Vorteil, im Anschluss an das semantische Differenzial eine offene Frage zu stellen, um die vorherige Beurteilung zu begründen. So können Sie herausfinden, was gerade bei negativen Einschätzungen die Gründe sind. Die Mischung aus qualitativen und quantitativen Fragen ist auch hier der Schlüssel zu aussagekräftigen Ergebnissen.